Hier jetzt der versprochene Bericht:
So, die Entscheidung ist gefallen. Ich war vorgestern zum Probefahren in Dortmund und Neuss und gestern auf der Intermot. In Dortmund bin ich vormittags noch einmal eine S1000R probegefahren, obwohl ich das ja schon zweimal auf der Straße und einen Tag lang auf dem Sachsenring getan habe, aber ich wollte eben den direkten Vergleich zur Nachmittagsfahrt mit der Tuono. Die S1000R klang in meinen Ohren (mit individuell angefertigten Ohrstöpseln) auf einmal sehr laut und dröhnig, der Schaltassistent erschien hackelig, das Handling eher zäh. Während der Fahrt dachte ich noch: Wenn die Aprilia sich ähnlich fährt, brauche ich vielleicht gar kein neues Motorrad. Ich will ja nicht 30-40 große Scheine auf den Tisch legen, um dann keine Steigerung zu meiner Z800 zu erfahren. Was mir aber noch mal positiv auffiel, war das unglaubliche Drehmoment im Keller. Man kann wirklich aus dem 6 Gang bei 50 aufdrehen und bekommt ganz schnell vehementen Vortrieb. Geliebt habe ich auch den Tempomaten, den ich viel eingesetzt habe. Und genossen habe ich wieder die Bremse, die mit einem Finger brachiale Verzögerungen ermöglicht. Ebenso genossen habe ich das Ändern der Dämpfung: bei schlechten Straßen auf weich, bei sportlichen Passagen auf härter. In Dortmund gibt es bei der Justizvollzugsanstalt Schwerte eine Strecke, die für Motorräder am Wochenende gesperrt ist, weil da sonst wegen der schönen Kurven zuviel gefahren wird. Da konnte ich ein paar Mal auf und ab fahren. Wobei mir hier auch wieder klar wurde: Richtigen Fahrspaß bekommt man nur auf der Rennstrecke. Wenn man den in Schwerte bekommen wollte, müsste man zu viel riskieren. Ich lese gerade die obere Hälfte des Motorrades von Spiegel und werde danach auf der Straße sicher noch vorsichtiger fahren.
Am Nachmittag ging es also zu Roland Matthes von WSC nach Neuss: Nettes Ambiente, schöne Werkstatt. Matthes will, dass ich erst fahre, bevor wir viel quatschen. Er lässt die Tuono an, und der Klang ist live natürlich noch besser als auf YouTube. Die Tuono, die ich in Rijeka gefahren bin, hatte einen Akrapovic Slip-On und klang daher gedämpfter. Es fällt mir schwer, mir vorzustellen, dass ein Motorrad noch besser klingen kann, als eine Tuono mit Serienauspuff.
Jetzt endlich drauf und los: Die Haltung ist so bequem, dass ich die ganze Fahrt nicht über Lenker, Fußrastenstellung, meine Knie, meinen Nacken oder Rücken nachdenke. Die Sitzbank ist straff, aber nicht zu straff. Nach dem Einbiegen in die erste Seitenstraße wird klar: Das Ding fährt sich als wöge es 100 Kilogramm. Unglaublich, was die gute Positionierung des kompakten V4s ausmacht. Zusammen mit dem breiten Lenker muss das die Handlichste 1000er sein, die es gibt. Hätte die Probefahrt nur 2 Minuten dauern dürfen — es hätte gereicht, um mich den Kaufvertrag unterschreiben zu lassen. Ich bin natürlich weiter gefahren und habe mit den acht Stufen der Traktionskontrolle gespielt und mich immer mehr getraut. Für mich wird das auf der Rennstrecke sicher ein klarer Vorteil gegenüber den nur drei Programmen der S1000R: So kann ich mich immer weiter vortasten und die Traktionskontrolle Stück für Stück zurückschrauben.
Was mir negativ auffiel: Die Bremse benötig mehr Kraft als die der BMW. Das Drehmoment in den niedrigen Drehzahlen ist deutlich schlechter als bei der BMW. Aber es machte mir nicht viel aus, denn das Schalten mit der Tuono macht Spaß. Tatsächlich animiert einen dieses Motorrad zu einer viel dynamischeren Fahrweise. Man möchte einfach immer wedeln, den Motor hören, also Gas geben und auch schalten, wobei der Schaltautomat um ein Vielfaches weicher ist als der der BMW. Am Ende sage ich zu Roland Matthes auf seine Frage, wie es war: »Die BMW ist wie ein Tourenmotorrad und das hier ist ein Sportler.«
Irritiert haben mich zu Anfang die deutlich hörbareren Geräusche der Kette, des Getriebes und sonstigen mechanischen Teilen, die ich mangels technischem Sachverstand nicht zuordnen kann. Es klang fast so wie eine alte Ducati, die ich bei einem Lehrgang mal eine Runde in Aschersleben gefahren bin. Und danach wusste ich, was für ein Motorrad ich nie haben will.
Nachher erklärte mir Matthes, dass die entsprechenden Teile bei Aprilia eben solider und mit weniger Fokus auf Gewichtsersparnis gebaut werden. Deshalb hört man sie mehr. Die mangelnde Spitzigkeit unten heraus kann man durch ein anderes Ritzel vorne beseitigen. Das kostet nur 8 kmh Endgeschwindigkeit und bei Bedarf kann man sogar hinten auch noch einen Zahn zulegen.
Jetzt haben wir gemeinsam besprochen, was ich alles an Zubehör brauche. Die Liste war lang: Lenkungsdämpfer, Gabeltuning, Öhlins-Federbein, andere Reifen, Schmiedefelgen und so weiter. 20.000 Euro sind da ganz schnell erreicht und auch überschritten. Und nun kamen Roland Matthes und ich gleichzeitig auf die selbe Idee: Warum nicht einen anderen Lenker an eine RSV4 schrauben? Also musste ich die erst mal probefahren, denn der Motor ist ja anders. Für die Probefahrt konnte ich mit der Sitzposition und den Lenkerstummeln gut leben. Die Entrücke:
Die RSV4 — ich bin gleich die Factory gefahren, denn für die Rennstrecke kommt nur die infrage — klingt noch ducatioöser und hat nicht ein ganz so schönes Brabbeln in den niedrigen Drehzahlen. Dafür klingt sie oben herum eine Spur besser als die Tuono. Der Lenker kostet gefühlt viel von der Handlichkeit der Tuono, aber den würde ich ja ändern. Den Vorteil der Schmiederäder konnte ich ehrlich gesagt nicht fühlen. Da muss ich auf Roland Matthes vertrauen, der sagt, dass das Umlegen auf der Rennstrecke merklich besser wird. Die Mehrleistung oben herum habe ich mir eingebildet fühlen zu können, aber die besseren Dämpfer konnte ich auch nicht spüren. Die Aprilia will eben auch hart gefahren werden, um ihre Stärken ausspielen zu können, und das mache ich nur auf der Rennstrekce. Die bessere Bremse vorne war allerdings sofort zu merken. So muss eine Bremse funktionieren.
Während der Fahrt überlege ich, ob ich wirklich 7500 Euro mehr ausgeben will. Das ist die Differenz des Listenpreises von der Tuono zur Factory. Der Vorteil wäre, dass ich beim Verkauf dann auch alle Teile, die ich bei der Tuono erst nachrüsten muss und bei der Factory Serie sind, entsprechend honoriert bekomme. Bei einer wild getunten Tuono sehe ich das zusätzliche Geld nie wieder.
Die Frage war schnell entschieden, als Roland Matthes mir sagt, dass er eine neue Vorjahresfactory, die baugleich ist, für 17999 Euro hat. Da komme ich dann mit Kleinzeug und Lenkerumbau auch auf 20.000 Euro, aber habe ein viel wertvolleres und besseres Motorrad. Leider sind die Farben erschreckend: Goldene Felgen. Und rot-schwarz ist eigentlich auch nicht meine Vorstellung von einem dezenten Motorrad (die Tuono hätte ich in schwarz-weiß genommen). Hier ein
hochauflösendes Bild. Da muss ich menschlich noch ganz schön wachsen, bevor ich mich mit goldenen Felgen nicht schäme. Die Alternative ist umspritzen (200 Euro für die Felgen) und das Motorrad so zu bekleben, wie ich es haben will (500 Euro).
Gestern bin ich dann noch auf die Messe gefahren, um zu erfahren, ob es irgendwelche Neuerungen gibt, die meine Entscheidung beeinflussen, aber das war nicht der Fall. Jetzt nehme ich die Factory erstmal so, fahre sie noch bis zum Winter und entscheide mich bezüglich der Farben bei der ersten Inspektion. Ich versuche dann auch statt des Tuono-Lenkers erst mal höhere und breitere Stummel.
So, damit verabschiede ich mich aus dem BMW-Forum und wechsele jetzt ins Aprilia-Forum. Leider ist da ist nicht so viel los. Es war schön mit euch. Ich habe viel gelernt und bedanke mich noch mal für die zahlreichen Antworten und Tipps.
Euer Oliver